Axel Bertram ist gestorben. Er war einer der wirklich Großen im „Grafikdesign“, wie Gebrauchsgrafik heutzutage gern genannt wird. Und wenn er nicht in der DDR gelebt und gewirkt hätte, wäre er mit Sicherheit einer der internationalen Stars dieser Szene gewesen.
Er war als Grafiker für „Dinge zum Gebrauchen“ unheimlich vielseitig: neben Büchern, Zeitschriften und praktisch allen anderen „klassischen“ typografischen Arbeiten entwarf er unter anderem auch Münzen, Bildschirmschriften, Briefmarken … Dabei hat er sehr darauf geachtet, dass immer die Sache und nie der Grafiker im Vordergrund stand. Das ist eine mittlerweile fast ausgestorbene Qualität, die man sich im Kapitalismus kaum noch leisten kann.
Und – was gern vergessen wird: er war ein begnadeter Lehrer. Es gab und gibt wohl kaum einen anderen Designprofessor, der so beliebt bei Studenten war wie er. Weil er sein profundes Wissen nicht nur weitergab, sondern dies auf unglaublich unterhaltsame Weise tat. Seine Vorlesungen waren immer überfüllt – auch von Studenten ganz anderer Fachrichtungen. Ich kenne keinen, der bei ihm studiert hat und nicht von ihm schwärmte. Umso trauriger, daß man Axel Bertram kurz nach der Wende auf ziemlich unschöne Art aus der Hochschule in Weißensee entfernte. Seine Nachfolger haben übrigens nie die Qualität von Axel Bertram auch nur annähernd erreicht.

Der Mann wußte einfach alles über Schrift und Schriftgeschichte. Ganz sicher hat das etwas damit zu tun, daß er ein Meister des Schriftschreibens war. Er kannte somit Schrift „von innen“, vom „Machen mit der Hand“. Der sicher intensivste und intimste Umgang mit Schrift. Ganze Bücher hat er von Hand geschrieben. Die dann sogar in verhältnismäßig riesigen Auflagen gedruckt wurden. Das gab es höchstwahrscheinlich nur in der DDR.
Seine Art des Schriftschreibens war eine ganz andere als die viel mehr popularisierte Kalligrafie, die an der Leipziger Hochschule gepflegt wurde. Bertram respektierte und benutzte traditionelle Schriftformen und erlag nie einer Versuchung in wilde Unleserlichkeit zu verfallen, um grafische Effekte zu erhaschen. Somit war er quasi als Einmannunternehmen der Gegenentwurf einer ganzen Schule und verbreiterte allein damit schon die grafische Qualität in dem kleinen Land ganz erheblich.

Ich lernte Axel Bertram persönlich nur flüchtig und viel zu spät kennen, als ich versuchte, seine Computerschrift „Lucinde“ zu kaufen. Die hatte ich in einem Buch, welches er gestaltet hatte, gesehen und die hat mir sehr imponiert. Leider – oder glücklicherweise – gab es diese Schrift bei keinem Händler. Also versuchte ich es direkt bei Herrn Bertram. Daraus entspann sich ein alle paar Monate wiederholtes Ritual: ich rief ihn an oder schrieb einen Brief und bekam jedesmal die Auskunft, daß er mir durchaus gern die Schrift lizensieren würde, diese aber – leider, leider, leider – noch nicht fertig wäre. Was ich gesehen hätte, wäre noch immer in der Überarbeitung. Das ging, wenn ich mich richtig entsinne, ein paar Jahre lang. Bis er dann eines Tages sagte: Die Schrift ist fertig. Aber ich müsse sie bei Linotype lizensieren, weil die mittlerweile den Vertrieb übernommen hatten. Und tatsächlich bekam ich dort dann die „Lucinde“. Was allerdings auch nicht einfach war: sie war nur ganz kurz im Linotypekatalog. Als ich das Geld zusammen hatte (die Schrift war für damalige Verhältnisse nicht gerade billig), war die „Lucinde“ schon wieder aus dem Katalog verschwunden. Glücklicherweise gab es damals einen sehr netten Menschen bei Linotype, der mir am Telefon verriet, daß „Lucinde“ aufgrund eines „rechtlichen Problems mit dem Schriftnamen“ wieder aus dem Verkauf zurückgezogen worden war. In höchster Angst, diese Schrift nun nie mehr zu bekommen, konnte ich mit meiner Schilderung der jahrelangen Versuche diesen Linotypemitarbeiter zu einer Ausnahme bewegen und habe die „Lucinde“ seitdem ganz ordnungsgemäß lizensiert. Die dann übrigens Monate später doch noch unter dem Namen „Rabenau“ auf den Markt kam. Und recht häufig von mir benutzt wird.

Meine Verbundenheit und Hochachtung vor Axel Bertram entstand aber schon lange vor dieser Geschichte und auch schon lange vor der Lektüre seiner großartigen Fachbücher (beispielsweise dem „Wohltemperierten Alphabet“). Ich war nämlich eine (prägende) Zeitlang Schüler einer Bertram-Schülerin. Hanka Polkehn hatte es damals, in den 80er Jahren, tatsächlich geschafft, mir in eigentlich total unbeliebten, aber jahrelangen Abendkursen eine gewisse Begeisterung fürs Schriftschreiben zu vermitteln. Und eine gewisse Begeisterung für ihren Lehrer, von dem sie offensichtlich vieles gelernt hatte. Wofür ich heute noch sehr dankbar bin. Danke, Axel Bertram!