Vorwärts und alles vergessen!

Eine Beschimpfung der friedlichen RevolutionärInnen
Vortrag zum 20. Jahrestag des Mauerfalls von Steffen Mensching

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Es muss jemand Humor gehabt haben bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, als man ausgerechnet Steffen Mensching bat, zum 20. Jahrestag des Mauerfalls einen Vortrag zu halten. Wahrscheinlicher ist: der Auftraggeber kennt Steffen Mensching nicht wirklich. Oder noch schlimmer: der Verantwortliche war (und das mit Sicherheit in der Vergangenheit) ein selbsternannter Ostbeauftragter. Wir wissen es nicht, genausowenig wie die Reaktionen der Zuhörer oder Bilder vom »Ost-Outfit« des Vortragenden überliefert sind. Herausgekommen ist eine höchst anspruchsvolle und gleichzeitig unterhaltsame Rede zu diesem Thema, die sich von allen anderen dazu veröffentlichten offiziellen Äußerungen erheblich unterscheidet: keine Schwarzweißmalerei, keine Selbstbeweihräucherung als Opfer oder Widerständler, sondern eine differenzierte und trotzdem selbstbewußte Sicht eines engagierten DDR-Intellektuellen, der sich weder »damals« noch heute seinen Blick von einem »Zeitgeist« trüben lässt. Eine Wohltat für alle, denen das sonstige unqualifizierte Geseier in den Medien zu diesem Thema auf die Nerven geht bzw. gegangen ist: Steffen Mensching auf den Spuren Heinrich Heines.

ISBN 978-3-935194-31-0 • 28 Seiten • 9,8 x 21 cm Drahtklammerheftung durchgehend vierfarbig • Einzelpreis 4 Euro • ACHTUNG: Für Buchhandlungen gilt eine Mindestabnahmemenge von 5 Exemplaren

Ich muss Sie warnen, Sie unterziehen sich heute einem in der Geschichte der Beschimpfungen beispiellosen Experiment. In dem folgenden kleinen Referat wird das Wort Revolutionär in seinen verschiedenen Beugungen und Brechungen 113 Mal vorkommen. Ich bin mir nicht sicher, ob alle von Ihnen eine solche Ballung verbalen Aufruhrs ohne Schaden an Körper und Seele zu nehmen, ertragen können. Außerdem weiß ich nicht, ob dieses Gebäude statisch auf solche Lostretung von Widerstandsenergie vorbereitet ist. Sollte es also irgendwann zu knirschen beginnen, blicken Sie um sich. Wenn es nicht Ihr Nachbar ist, der auf Grund meiner Auslassungen seine Backenzähne schärft, könnte es eventuell die Decke sein. [···]

Im sonnigen Monat Oktober war‘s

Man feierte eifrig die Wende

Der Jubel hing allen zum Halse heraus

Die Feiern nahmen kein Ende.

Stellte man morgens den Fernseher an,

Was sah man? Verhuschte Gestalten

Die Widerstandskämpfer der Ex-DDR,

Nur grauer und mit mehr Falten.

Der Rainer, die Vera, der Ehrhard, der Gerd

Aus Cottbus der muntere Steffen,

Bloß Bärbel, die Mutter der Revolution,

Kam nicht zum Vertriebenentreffen.

In jeder Talkshow, bei Brezeln und Wein

Hockten wie Hasen die Helden,

Sie redeten eifrig, sie redeten lang

Und hatten nicht viel zu vermelden.

Ich sank vor dem Bildschirm auf die Knie

Und stöhnte, ihr Brüder und Schwestern,

Rebellen wart ihr, das glaub ich euch gern,

Doch was nutzt der Mut von gestern?

Die ollen Kamellen vom runden Tisch

Vom Sturm auf die Stasizentrale,

Die habt ihr in Filmen und Büchern doch schon

Beschrieben dutzende Male.

Die Herren und Damen im Studio

Fuchtelten wild mit den Händen,

Als drängten sie noch die Volkspolizei,

Das Unrechtsregime zu beenden.

Es war ihre Stunde, pathetischer Schweiß

Floß literweis in die Stühle.

Einen Chefredakteur, auf Jüngling gestylt,

Überwältigten die Gefühle.

Er tätschelte Veras wehrhafte Knie

Und nannte sie stolze Ikone

Der deutsch-deutschen Einheit und Demokratie,

Für die zu kämpfen sich lohne.

 

Ich breche hier ab.

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