Wendekreis

oder
die Vollendung der deutschen Einheit im Südpazifik

Roman

 

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Eine unterhaltsame und skurrile, gleichermaßen spannende wie nachdenkliche Geschichte zwischen Berliner Novembergrau und gleißender Südseesonne: Der Ostberliner Musiker Rollo Schultz heuert auf einem Kreuzfahrtsegelschiff an, welches bald darauf im Südpazifik versinkt. Er rettet sich auf eine einsame Insel – aber er ist dort nicht allein. Eine Kette rätselhafter Ereignisse folgt, eine Entdeckungsreise mit unklarem Ausgang, eine grausamschöne Liebesgeschichte, irgendwie auch ein Krimi. Diese »Robinsonade mit Schwäbin« unternimmt ausführliche Ausflüge in die nicht nur deutsch-deutsche Geschichte, die Absurditäten des Lebens und die Welt der Seefahrt. Ein Buch voll Witz und Tragik, Leichtigkeit und Tiefgang.

ISBN 978-3-96611-002-0 •· 13 x 21 cm • Hardcover mit Lesebändchen • Gransee 2019 • 560 Seiten • 29 Euro

Stefan Körbel, 1953 geboren in Berlin/Ost, arbeitete nach Schule, Wehrdienst und einem Studium der Kulturwissenschaften als freischaffender Musiker und (Mit-)Gründer verschiedener kultureller Projekte (u. a. »Karls Enkel«, »Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot«, Plattenlabel »Nebelhorn«). Er lebt in Berlin und im Oderdelta. Dieses Buch ist sein erster Roman.

Es ist mehr als ein großer Spaß, ein Kriminalroman oder eine Liebesgeschichte, die Stefan Körbel mit seinem Romandebüt bietet. Außer der raffiniert konstruierten Geschichte einer modernen Robinsonade, in der es einen nicht mehr jungen ostdeutschen Musiker und eine sehr junge Schwäbin auf eine einsame Südseeinsel verschlägt, ist es der ungewöhnliche Sound, in dem der von der Insel Zurückgekehrte sein Abenteuer erzählt. Das ist nicht nur Südseeromantik und Seemannslatein, das ist vor allem eine handfeste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Körbel, der einstmals zu „Karls Enkeln“ und einschlägigen Singe-Bewegungen gehörte, lässt seinen Protagonisten Leben und Hoffen in der DDR vom Standpunkt des kritischen Sozialisten erklären , der sich der Fehler seines Landes durchaus bewusst gewesen war, aber im Kapitalismus keine Alternative gesehen hat. Frech und witzig, aber gleichzeitig klug und treffend ist ein spannendes und höchst unterhaltsames Buch entstanden.

(„Ossietzky“)

 

Rollos Resterampe und der grüne Gummibonbon

Rollo Schultz, xundfünfzig Jahre alt, Bewohner/Betreiber einer Laube in Pankow. Gelernter und gebliebener Ostberliner (Rummelsburg). Musiker und Sänger, klamm und Alkohol plus Wende.

Ne Zeit lang vor der Grossen Umkehr hatten solche wie Schultz/Körbel eine große (?), gute Zeit. Liedermacher. Vertraut mit Land und Leuten, ein bisschen unterm Radar der offiziellen Kulturpolitik oder sogar ein bisschen gefördert von dem einen oder anderen Funktionär in der Provinz, weil: Wenn die Typen auf der Bühne aus Berlin kommen und sowas politisch leicht Verruchtes singen -, die Genossen in Berlin werden sich schon was dabei gedacht haben, wenn sie die Texte und Sänger „durchgehen“ lassen. Den Flügelschlag eines Schmetterlings lang die Freiheit des Denkens und Aussingens und anarchischen Feierns sowieso; wenn schon grau, dann kräftig blau. 
Nach der Wende gings ganz fröhlich und einträglich und mit tollen Ideen weiter. Bis es klemmte. Irgendwie. Die Luft war raus, was zu sagen wäre, war gesagt; man kann sagen: In den Regalen des bürgerlichen Kulturbetriebes waren die Bretter platzvoll besetzt. Rollo „kam die Welt abhanden“. „Es dauerte eine ganze Weile, aber irgendwann schliesslich hatte ich nackt und pur begriffen: meine Zeit war vorbei.“ Die Begriffe zerfliessen auch so langsam im giftgrünen Nonsens. 
Die Gesellschaft, in der Rollo lebt, die Welt des Westens, in der er haust (und gegen die innere Leere antrinken und anstinken) muss, ist fürderhin: ein „giftgrüner Gummibonbon“, ein „glibberiger Gummibonbon“, ein „Grosser Ganzer Grüner Gummibonbon“. Die heutige Konsum-und-Produktions-Welt als ein „einziger zäher Riesengummibonbon“ (was ein Zitat aus des Schweden Mats Wahls Buch „Himbeeradler“ ist; dieser Gummibonbon zieht sich durch Körbels Roman: ein Kaugummi, ein grüner Faden, eine Kette, an der Verdruss, Abwehr, Empörung, Verzweiflung, Apathie u. a. aufgefädelt sind.)
 Rollo also. Der nichts mehr will, der nichts mehr hat außer seinen Erinnerungen an seine Heimat: die Deutsche Demolierte Republik. Außer den mittlerweile auch schon fast zur Vergangenheit gehörenden Geschäftsgründungen und Pleiten im Umsturz-, Umfall-, Umkehr-Zeitalter Anfang der 1990er Jahre. Außer seinem Spleen, durch die Geschichte zu fegen mit einem Staubsauger, der alles einsammelt und verquirlt; ein Mann, „xundfünfzig Jahre alt“, wenn er nicht ganz dämlich und gleichgültig ist, hat eine Menge gelernt und will einordnen, was ihm geschehen ist, woraus er geworden ist, was ihm noch bleibt. Und dann dieses Gefühl: am grünen Gummibonbon ersticken.
Dieser Rollo, begabter Musiker und Sänger (nicht zuletzt: ein studierter Kulturgeschichtler wie der Autor), bekommt eines grauen Tages die Chance, für einen liebes- und knochenwunden einstigen Band-Kumpel einzuspringen: als Entertainer in einer Bar auf einem Kreuzfahrtschiff durch die Südsee. Südsee ja sowieso immer großer Traum gewesen. Südsee immer schon präsent. Aus Büchern, in der Phantasie, selbst ist Rollo Segler. So im Ostseeformat. Er nimmt das Engagement an, eine Traum-Reise auf einem Traum-Schiff. Bis, wir haben knapp die Hälfte des Romans hinter uns, alles den Pazifik runtergeht: Das Schiff sinkt. 
Rollo kann sich auf eine Insel retten, und mit ihm die halbtote, junge Stella. Wir sind kurz vor der Hälfte des Romans, als Rollos Traumreise jetzt aber wirklich los-, ab-, am Ende untergeht.
 Eine romantische Roman-Idee: Einen Erfahrungssatten aus dem Osten und eine erst Widerborstige, dann Erfahrungsneugierige aus dem Westen auf einer einsamen Insel stranden zu lassen. Fernab des aktuellen Getöses, fernab verknautscht-verkniffener (oder auch, von mir aus, gewichtig einlassender) Essayierung und Feuilletonisierung und Kommentierung der deutsch-deutschen Wirklichkeit haben da zwei Menschen-Kinder Zeit und Sonne ohne Ende. Wat willste da machen? Nur Koppstehn und lachen?
Zum Beispiel reden, quatschen, schwadronieren; zum Beispiel plaudern, in die Tiefe des Ozeans Seele schauen (kannste ja nicht immer nur ins pazifische Wasser steigen und tauchen; da weichst du auf). Und also palavert Rollo – logo, worüber sonst? – über seine Jahrzehnte in der Deutschen Demolierten Republik. Und so lässt Stella nach und nach was kucken aus ihrer verkrachten Kindheit und Schulzeit im gewöhnlichen Schwabenland in der gewöhnlichen Bunten Republik Deutschland. Verstehe: „die Vollendung der deutschen Einheit“. Dass zwischen den beiden reichlich dreißig Jahre Unterschied bestehen -, das hindert sie nicht, Auswahl ist nicht, ab irgendwann sich zu erkennen und ineinander aufzugehen. Was so die feuchten Träumen alternder Herren sind. (Körbel ordnet im Nachwort Phantasie, Quellen und Ambitionen.) Die abgeschiedene Insel wird zum zwar ideologiefernen Ort; ein Ort der üppigen Betrachtungen, Erinnerungen, Abrechnungen mit Kommunismus und all dem anderen auf dieser Gummibonbon-Welt. DDR-Geschichte plus DDR-Kulturalltag eingewoben in allgegenwärtige Erotik. Politunterricht unter der Ultrabestrahlung der Sonne; Sex ohne Ende ganz ohne TV-Bachelor-Setting und mit übersprudelnden Neologismen, ein Crescendo, Kaskaden, er: „Prometheus mit Schraube locker“ und sie mit ihrem „Wasserfall-Teich-Astral-Leib“. 
Man kann das übelnehmen, weil: Es ist ausschweifend, dozierend, „propagandistisch“; aber wenn man viel Zeit hat unter der Sonne und einen nichts ablenkt, warum nicht Palavern und Poppen unter Palmen. Man kann das annehmen, weil: Alles Palavern kommt aus dem Eigen-Erlebten, ist das Eigen-Erinnern, ist eingebunden in das Spiel: Wir sind allein auf der Welt, vorübergehend, alles andere kann uns am Arsch vorbeigehen bzw. am entzückend runden „Popo“ Stellas, lass uns was draus machen.
Rollos/Körbels Abmachung mit dem Leser, der Leserin: Ick erzähle euch jetzt eine Geschichte, wa, die gloobt ihr nicht. Aber sie ist wahr, zwinker, zwinker! Jedenfalls weitgehend, wa. Und so ist sie aufgeschrieben: Als säße jemand vor dir, meinetwegen mit einer Gitarre um den Hals, auf der ab und zu – wenn der Erzähler mal ein bisschen Pause macht – ein paar Akkorde geklimpert werden. Und dann läuft die Geschichte weiter. Assoziierend, kalauernd, mit Ausflügen in Geschichte, Literatur und am meisten mit Erinnerungen, Tagespolitischem, Knappgeschichtlichem schon, das Leben, geschüttelt und gerührt. „Tach, Herr Preil!“ kann man da nur sagen; und wer so dabei war zwischen dem Kessel Buntes, Karls Enkeln, und wer unter den Puhdys litt und wem Bärbel Wachholz noch ein Begriff ist oder Czeslaw Niemen -, na der kennt sie alle, weil Rollo sie kannte und sie auf seiner Lebens- und Arbeits-Liste führt.
 Der Stil des Romans: quirlig, angepasst ans Jeweilige. Soll heissen: Meistens vivace bis prestissimo; wann immer es nach schnellen Assoziationen verlangt. Lento bis andante; wenn es ausgreift, Erklärung braucht, abschweift und umgreift. Kurze Sätze. Ellipsen. Ein Satz, zwei Sätze = Absatz. Manchmal ein flinkes Büchlein (allegro), manchmal tiefer Strom (largo). So ungefähr. Der Stil, wenn Rollo/Körbel erzählt, und hin und wieder die direkte Anrede: Wollt ihr das hören? Soll ich weiter erzählen? Versteht ihr mich überhaupt, „ihr Hoschis“?
 Es macht nichts, dass im Dokumentarischen einiges zusammengewürfelt wird. Es ist ja so, dass es im Rückblick gar nicht so genau drauf ankommt. Kommt einem alles vor, als wäre es zeitgleich passiert. Etwa wenn in einer Tagesschau (es ist die vom Vorabend, bevor Rollo sich auf den Weg zum Kreuzfahrt-Segler macht) Schröder Gazprom-Beauftragter (?) und Gabi Zimmer Chefin der PDS (2001) wird. Die Bedrohung des Giftgas-Einsatzes im Irak-Krieges entlarvt sich als Lüge, die Puhdys treten zu ihrer xten Abschiedstournee an. Stolpe war also doch nicht ganz bei der Stasi, Einheitskanzler Kohl hat den Staat beschissen, in Schwaben stellen die Grünen den Regierungschef (2011) und Reinhard Marx, der Bischof, hat ein Buch geschrieben, Titel: Das Kapital (2008). Und dann wird auch noch der Ostsee-Pfaffe Gauck Bundespräsident (2012). Im Übrigen: Stefan Körbel ist ein schlauer Geselle. In seinem Nachwort bricht er jeder diesbezüglichen Kritik-Lanze die Spitze bzw. mittendurch. 
Eine Mischung aus Lakonisch-Salopp, Ostdeutsch-Berlinisch, Musikalischem und Zeitgeistigem. Aus Zeitgeistlichem auch (obwohl Rollo bekennender „militanter Atheist“ ist), aus Geschichtlichem, Populär- und Naturwissenschaftlichem, aus Anspielungen, Kalauernd-Wortspielendem, Zitaten und ziemlich viel Bildung.
Der Roman hat für mich einen eigenen, sehr eigenen Charme und eine Chuzpe, die mich lachen, feixen, lächeln lässt. Und traurig bin ich auch, weil ich an diesem bizarren Experiment eines praktizierten Sozialismus teilgenommen habe. Weil ich in dieser blödschönen Deutschen Demolierten Republik die Hälfte meines Lebens (toi, toi, toi!) verbracht habe. Wie Rollo Körbel, wie Stefan Schultz.

Und egal, was im giftgrünen Gummibonbon passiert oder im lackgrauen Hustenbonbon vorher geschah: Aber dennoch hat sich Rollo janz köstlich amüsiert.

Eckhard Mieder in „UntergrundBlättle“ (CH) und „Das Blättchen“

 

Biskupeks Auslese

Wendekreis. Bilderlust. Selbstzerstörung

Als Mitbegründer der einstigen Kult-Truppe „Karls Enkel“, Begleiter honoriger Sängerinnen, Musik-Verleger, Kneipenchef und Liedtexter (jeweils zeitweilig) ist er einigermaßen bekannt. Jetzt hat sich Stefan Körbel als Romanautor versucht und ein richtig dickes, richtig gutes, richtig humorvolles Werk mit einem barocken Titel „WENDEKREIS oder Die Vollendung der deutschen Einheit im Südpazifik“ auf den verstopften Buchmarkt geworfen. Hätte er Rowohlt oder Reclam zum Verlegen bewegt, wäre – vielleicht – ein Bestseller entstanden. Bei der EDITION SCHWARZDRUCK lässt es nur die aufhorchen, die es wirklich gelesen haben: Wo hat Körbel diese Einfälle, diesen Sprachwitz, diese DDR-Erklär-Fähigkeit und diese Detailtreue her? Inhaltsangabe: Abgehalfterter Musikant Rollo Schultz – mit ein paar autobiografischen Zügen – bekommt Mugge auf Südsee-Segelschiff, das reiche Oschies zu deren Vergnügen quält. Doch ein Schiffbruch schmettert Rollo auf eine Robinson-Insel. Sein Freitag ist ein blutjunges, schwäbisches Weiblein und alsbald … doch man muss das Ganze selber lesen: Sexismus und Russen, Spannung, Nadelarbeiten, französische Atomprotzerei, Spannung, Kaasköppje und ein spannendes neunseitiges engbedrucktes Glossar. Nein, kein Leser dieses Romans wird ungebildet in die Grube oder auch in die Südsee fahren.

MODERNE ROBINSONADE

Erstling von Stefan Körbel

Es gibt kein Happy-End in Stefan Körbels „Wendekreis oder Die Vollendung der deutschen Einheit im Südpazifik“. Mit der deutschen Einheit ist das eben so ein Ding. Dieser Romanerstling des Liedermachers (der sich wohl aus Übermut und seiner Seefah-rer-Segler-Ambition skandinavisch Kørbel schreibt), geboren 1953 in (Ost)Berlin und Mitbegründer der Ensembles „Karls Enkel“ und „Boschewistische Kurkapelle“, unangepasst schon immer und bis jetzt, ist aber wirklich etwas Besonderes. Ich wollte ihn bereits nach den ersten vierzig Seiten zum besten Buch des Jahres ausrufen. Was im Januar mutig ist. Aber dass diese 550 Blätter lesenswert sind – dabei bleibe ich.
Die Geschichte: Der Musiker Rollo Schultz hat beruflich seine besten Zeiten hinter sich, woran die Wende nicht unschuldig ist.
Da bittet ihn ein Kumpel, Pianist seines Zeichens, dessen Vertrag auf einem Kreuzfahrt-Segler zu erfüllen, weil er sich den Arm gebrochen hatte. Das Honorar ist stattlich, also sagt Rollo zu und geht in Neuseeland an Bord; hoffend, dass seine Kindheitsträume von der Südsee sich erfüllen mögen. Der Segler ist solch ein Luxusding, wo die Passagiere gegen gutes Geld alles selber machen und sich schinden lassen müssen. Ausgebrannte Manager scheinen das ja zu mögen. Es kommt, wie es kommen muß: die „Erynnia“ sinkt. Wenn ein Schiff auch schon nach den griechischen Rachegöttinnen benannt wird! So findet sich Rollo, fast 60 Jahre alt, mit Stella, der jungen Küchenhilfe aus Schwaben, auf einer Insel wieder. Was macht man, wenn man den ersten Schock verdaut und viel Zeit hat: man kommt ins Erzählen. So erzählt sich das völlig unterschiedliche Paar, das aus ganz weit entfernten Welten kam, sein Leben.
Stefan Körbel fabuliert geradeheraus, uneitel, manchmal simpel, in biegsamer, lebendiger Sprache. Mit Witz oft, der auch Humor ist. Mit unerschütterlicher Langsamkeit und zelebrierter Komik. Der Autor ist auch geschwätzig, aber nie apolitisch! (Meine Lieblingsstelle ist ja die über Joachim Gauck Seite 158/159.)
Aber bei Körbel liest man auch das Erschrecken darüber, dass vieles, was heute in dieser Welt geschieht, falsch ist: “Die Chance, diesem Planeten, dieser, nun ja: Zivilisation einen überlebensfähi- gen Ausweg zu verschaffen, war doch verpasst. Es ist doch nur noch die Frage, was uns zuerst erwischt: das Schmelzen der Pole oder das Schmelzen des Perma-Frostbodens, der einfach die Schnauze voll hat von uns und uns sein Methangas in die arrogante Fresse pustet. Methan ist zehnmal aggressiver als CO2. Nur mal so. Und was in den Tiefen der Ozeane passiert, wenn es dort auch nur ein Grad wärmer wird, weiss kein Mensch.“
Oder: „Es ist wie bei ,Des Kaisers neue Kleider‘. Nur: kein kleiner Junge da, der einfach sagt: aber sie sind ja nackt! …. Sie aber quatschen. Immer weiter. Endlos. Und darum klappt auch nichts mehr. Nichts. Weil selbst die Philosophen aufgegeben haben, die Welt kapieren zu wollen. Sie tun nur manchmal noch so. Aus alter Gewohnheit – ach was: aus Bestechung, im Medien-Hype – tun sie einfach immer noch so.“
Manchmal ist der Text wie Poetry Slam – dieser Wiedergeburt der Dichtkunst auf dem Humus von Hiphop, skurril-poetisch (…)
Begeben Sie sich auf diese Reise! Man kommt, wie von jeder Ausfahrt, schlauer wieder. Und Happyends gibt es im richtigen Leben auch viel zu selten; in diesem Falle hätte es sowieso nicht funktioniert und dem Buch seinen Charme und seine Nachdenklichkeit genommen, die einem nachgeht.

Barbara Kaiser, „Barftgans“ Uelzen, März 2020

„Rette sich, wer kann! Seefahrt, Sehnsucht, Seelenqual“ hieß eines der vielen Programme des Liedermachers Stefan Körbel. Wäre auch ein prima Titel für sein Buch-Debüt gewesen. Denn darin schickt er seinen Helden Rollo Schultz (mit gemütlichem Bauch, flinken Fingern auf der Gitarre, meerverliebt und segelvernarrt dem Autor nicht ganz unähnlich) auf eine abenteuerliche Reise in die Weite der Ozeane.

„Wat? Wohin jeht et? Inne Südsee? Ach mein Jott! Wo is ditte denn. Machorka… oder wat?“ Nachbarin Klawitter soll das Grünzeug des Berliners Musikers Rollo versorgen, während der auf einem reichlich dubiosen Kreuzfahrtschiff anheuert, um abends in der Bar stellvertretend für seinen kranken Kollegen Alex aufzuspielen. 7000 Euro Gage sind nicht zu verachten und das Meer lockt. Doch noch ehe der Barde mit der merkwürdig zusammengewürfelten Besatzung an Bord warm werden kann, sinkt das Schiff. Was nicht das einzige Mysterium bleiben soll.
Rollo und die grad 20jährige Schwäbin aus der Kombüse stranden als (vorerst) einzige Überlebende auf einer einsamen Insel im Südpazifik. Sie ist halbtot, er wird zu ihrem Retter, erst hausen sie in einer Felsspalte, später bauen sie sich eine Hütte, hinterher noch ein Boot. Robinson Rollo und „seine kleine Stella“. Denn es entwickelt sich, wie kann es anders sein, wenn Mann und Frau allein auf weitem heißen Sand sind, eine Liebesbeziehung. Während die Südseesonne brennt, die Tage kommen und gehen wie die Ozeanwellen, erzählen die Zwei sich ihre Leben. Vor allem Rollo mit seinen fast 60 Jahren, aus der wilden Kultur-Szene und noch dazu aus `m Osten kommend, hat da einiges zu bieten. Und darum geht es ja eigentlich.
Rollo Schultz wird zum kongenialen Transporteur für Wahrheit und Wirklichkeit, Dichtung und Deutung gelebten prallen Dabeiseins in zwei Gesellschaftsformen („Glaubt mir, oder laßt es sein.“) Welch` verwegener Einfall, spitzfindiger Rahmen, um deutsch-deutsche Geschichte zu erzählen.

Stefan Körbel, unangepasster Berliner Liedermacher bis heute, Jahrgang 1953, gründete in den 70ern das Lied-Theater Karls Enkel mit, in den Achtzigern die Bolschewistische Kurkapelle. Er betrieb die Plattenfirma Nebelhorn und die Kulturkneipe Club Voltaire. Spielt Gitarre, Geige, Mandoline. Singt Beatles neben Tangos, Dylan neben Wyssotzki, Tucholsky auf Gundermann. Seit 2012 ist der Umtriebige Kopf des Buonarroti-Archivs für zeitgeschichtliche Video-Interviews. In seiner kleinen Wohnung biegen sich die Regalbretter ächzend unter Tausenden von Büchern, von denen er nicht ein einziges herzugeben vermag. So viel Glück durch Wissen! Und Fixpunkt wohl auch im Heute, das in Rollos Mund zu einem immer dickeren „giftgrünen Gummibonbon“ gerinnt. „Mir jedenfalls schien … in der von heute aus gesehen fast amüsanten, jedenfalls skurrilen sogenannten DDR die Welt eine dennoch halbwegs durchschaubare zu sein. Halbwegs. Nun ist sie es nicht mehr. Ein einziges Wirrwarr.“
Es gab keinen Plan, so der Autor, keine Pinnwand mit Figurenkonstellationen oder so. Eines Morgens begann er einfach loszuschreiben, und es sprudelte. Ein luftiges Gestrick aus Gegenwärtigem und Vergangenem, Philosophischem und handfest beschriebenem Überlebenskampf in der Südsee entstand. Das ist hochdramatisch, schaurig-schön, humor- und geistvoll von der ersten bis zur letzten Seite. Manchmal ist einem auch zum Heulen. Einmal begonnen mit dem Lesen, kann man nicht mehr aufhören. Trotz der eigenwilligen Form: Stakkato-Sätze, lange Monologe, knappe Dialoge, mitunter ziemlich deftige Szenen, Kraftausdrücke, die nichts für zarte Gemüter sind.
Nur so viel sei noch verraten: Die Romanze hat kein Happy End. Es gibt keine Vollendung. Rollo Schultz kehrt nach einem unglaublichen Jahr allein ins Berliner Novembergrau zurück, mit einer Südseeperle als einziger Habe. Ein kleines Juwel für die Erinnerung – wie Stefan Körbels Roman-Erstling im Bücherherbst 2019.

Waltraud Heinze, „Neues Deutschland“ 24.12.2019

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